Interview mit Carolin Emcke
play: Gespräch mit Carolin Emcke und Iman Humaidan Junis, "Wilde Maulbeeren"
Ich will Zeugin sein, bei den Menschen denen Unrecht widerfährt,“ sagt Carolin Emcke, die als Kriegsberichterstatterin für den Spiegel in diese Länder gereist ist um aus der Perspektive der Opfer zu berichten. Um der eigenen Sprachlosigkeit durch die Erfahrung von Leid und Verwüstung zu begegnen, hat sie begonnen Briefe an ihre Freunde zu schreiben, die damit Zeugen einer Reporterin werden, die sich wieder in das „normale Leben“ einfinden muss, die nicht einschätzen konnte, „wie das Erlebte in mein Leben eingegriffen hätte, wenn es diese Freunde nicht gegeben hätte.“ Ein Leben zurück in Berlin „ohne Grenzkontrollen, Checkpoints, Stacheldrähte, Geschrei, laute Folkloremusik und Armeefahrzeuge ... gedankenverloren über eine Straße zu schlendern, ein unschätzbarer Luxus.“ Diese Briefe von Carolin Emcke richten sich an politische Philosophinnen wie Wendy Brown, Rahel Jaeggi, Isabell Lorey, Amelie Rorty, Seyla Benhabib und an ihre Freunde, die permanent im Radius der Gewalt leben und Carolin Emcke während ihrer Reisen verständnisvoll unterstützten.
Felicia Herrschaft: Könntest du deine Beweggründe schildern, diese Reportagen zu schreiben, beziehungsweise Dich in diese Länder zu begeben, die wir normalerweise nur als Krisenregionen kennen. Hat das mit einer bestimmten journalistischen Ethik zu tun?
CAROLIN EMCKE: Das ist sehr schwer zu benennen, weil es so viele Gründe sind, die zusammenkommen. Eines der großen Themen, die mich umtreiben, ist der Zusammenhang von physischer Gewalt und Traumatisierung der Opfer. Diese Opfer tragen nicht nur körperliche Schäden davon, sondern leiden vor allem an den seelischen Folgen, die sich mitunter auch in dem Verlust ihrer Sprachfähigkeit äußern. Die Vorstellung, dass die Menschen nicht nur Opfer geworden sind, sondern nachher nicht mal mehr in der Lage sind, das Unrecht, das ihnen widerfahren ist, für uns "kohärent" oder "intelligibel" zu beschreiben, das ist es, was mich veranlasst in diese Länder zu fahren und die Geschichten dieser Opfer zu rekonstruieren. Aber es kommen natürlich noch eine eher banale Motivation hinzu: Fernweh. Ich reise einfach gerne. Und schließlich gibt es auch und gerade in diesen Krisenregionen häufig so viel Großzügigkeit und Gastfreundschaft und auch Schönes, dass es manchmal das Leid, das man dort erfährt, übersteigt.
Felicia Herrschaft:Auf journalistische Ethik bin ich durch deinen Irakbericht gekommen, weil du Jeffrey Goldberg kritisierst, der einen Zeugen anführt, der tatsächlich nicht wirklich ein Zeuge sein kann?
CAROLIN EMCKE: Den psychopathischen Gefangenen in dem Gefängnis im Irak kann man nicht wirklich verantwortlich machen, sondern den Journalisten der einen krankhaft gestörten Fabulierer und Geschichtenerzähler zum Kronzeugen für die Achse des Bösen und die Verbindung zwischen AL Quiada und Saddam Hussein hochstilisiert hat - und so zu einem der manipulierten Gründe für den Krieg der Amerikaner gegen den Irak gemacht wurde. In der Tat, das hat wirklich was mit journalistischer Ethik zu tun, zu sagen, das kommt mir unglaubwürdig vor - ich will das mal recherchieren und nachrecherchieren und schauen wer dieser Zeuge eigentlich wirklich ist, um dann eben vor jemanden zu stehen, der vollkommen unglaubwürdig ist. Diese Geschichte von Jeffrey Goldberg im New Yorker, ist überall zitiert worden und ist auch nach und nach sonderbar diffundiert und zum Allgemeinplatz in der internationalen Öffentlichkeit geworden, eine Geschichte für die kein Geheimdienst der Welt Belege hatte. Man muss der fairnesshalber dazu sagen, dass ich nicht wirklich entscheiden kann wie dieses Fehlurteil, das der Kollege Goldberg getroffen hat, zustande kam. Vielleicht hatte er wirklich von dem Zeugen, den wir beide getroffen haben, subjektiv einen anderen Eindruck. Vielleicht erschien ihm der Informant wirklich glaubwürdig, während er mir lediglich schwachsinnige vorkam. Das kann uns allen Journalisten jederzeit bei jeder Geschichte passieren, das wir uns schlicht und ergreifend irren, in sinnlichen Wahrnehmungen und in persönlichen Einschätzungen. Dieser Mythos des objektiven Berichterstatters, den wir da immer so vor uns hertragen, den muss man auch hinterfragen. Sicherlich ist mir das auch schon passiert, dass ich jemanden für glaubwürdig gehalten habe, der ein Lügner war. Vielleicht bin ich falschen Informationen aufgesessen und habe sie weiter transportiert. Vielleicht habe ich Wichtiges übersehen. Gewähr dafür gibt es nicht. Man kann nur versuchen mehr Informationen zu sammeln und einen zweiten oder dritten Zeugen für dieselbe Behauptung zu bekommen. Das ist auch im Grunde das, was ich dem Kollegen vom New Yorker vorwerfe. Er hat bei all dem, was er sonst recherchiert hat, genügend Informationen bekommen, die den Aussagen dieses irren Kronzeugen widersprochen haben. Er hätte die Widersprüche auch abbilden müssen in seiner Geschichte.
Felicia Herrschaft:Hast du diese Briefform gewählt, weil es in Recherchen und Reportagen, die du für den „Spiegel“ aufbereitet hast keine Möglichkeit gibt, diese Situationen zu verarbeiten, die eine Reflexion auf diese Flüchtlingslager, auf diese Gewalt, das verletzte Wissen, das Menschen mit sich tragen, ermöglicht?
CAROLIN EMCKE: Da kommen zwei Momente zusammen. Natürlich ist es zumindest im bundesdeutschen Journalismus,anders als im angelsächsischen Raum, sehr untypisch und auch tabuisiert, dass der Autor der Geschichten sichtbar wird. Das hängt damit zusammen, dass wir im hiesigen Raum glauben, wenn wir zugeben würden, dass wir auch nur subjektive Beobachter sind, sofort Gefahr laufen, dass uns die Glaubwürdigkeit entzogen wird. Dass niemand mehr glaubt wir könnten neutral sein, dass niemand mehr glaubt, wir könnten fair Bericht erstatten. Viele Kollegen unterschätzen, dass wir ohnehin schon längst ein Glaubwürdigkeitsproblem haben als Medienberichterstatter. Medienkritik und Kritik an der Subjektivität der Berichterstattung ist ohnehin schon zum Gemeinplatz geworden. Insofern gibt es hier in Deutschland noch eine Konvention in der Schreibform, die dem Leser schon manchmal nicht mehr entspricht. Aber es kommt etwas anderes hinzu. Diese Briefe sind nicht aus Kritik am Nachrichten -Journalismus entstanden. Auch wenn ich jetzt zwanzig Seiten hätte länger im Spiegel schreiben können und wenn die Artikel, die ich ganz offiziell über diese Krisengebiete geschrieben habe, länger gewesen wären, auch wenn sie subjektiver gewesen wären, sie hätten mir trotzdem nicht das Gefühl vermittelt, dass es reicht. Und das hat weniger mit dem Magazinjournalismus als vielmehr mit der Erfahrung von Krieg und Gewalt zu tun. Diese Briefe und dieses Buch sind wirklich aus einem Gefühl des vollkommenen Versagens entstanden. Aus dem Gefühl, dass man nicht ausreichend beschrieben hat, wie Krieg und Gewalt in das Leben von Menschen und ganzen Regionen eingreift. Das hat sich im Übrigen auch nicht aufgelöst durch dieses Buch, sondern das bleibt. Die Briefe, die ich nach dem ersten Kriegseinsatz angefangen habe zu schreiben, waren wirklich auch eine Form für mich selbst zu verstehen, was ich da erlebt hatte.
Felicia Herrschaft: Es scheint in dem Buch einen Bruch durch den 11. September zu geben.Vorher erscheint es so, als ginge es mehr um das Aufdecken von Kriegsverbrechen. Zum Beispiel hast du im Kosovo ein Massengrab entdeckt. Verändert sich ab New York deine Perspektive, weil du stärker Stellung beziehen musst in dieser plötzlich sehr stark veränderten Welt?
CAROLIN EMCKE: Nein. Schon im Kosovo waren wir beständig als Zeugen aufgefordert Position zu beziehen. Nicht im Sinne von voreingenommener Parteinahme, sondern weil die Berichterstattungspflicht verlangte, ethnische Gewalt zu dokumentieren, und es 1999 genauso eindeutig eine spezifische Opfergruppe gab: die Kosovo-Albaner, wie es im Jahr 2000 in den Ghettos im Kosovo eine andere Opfergruppe gab: die Serben. Was allen Reisen in Krisenregionen gemein ist, ist dass meine Erzählungen von Kriegen nie aus der Perspektive der Täter entwickelt wird. Mich interessiert nicht der militärische Apparat und die Logistik, sondern die Opfer. Dadurch ist sowieso schon eine andere Perspektive gegeben als das, was klassischerweise Kriegsberichterstattung geheißen hätte. Vielleicht liegt in diesem Buch insofern ein aufklärerisches Moment, weil es gegen den Mythos eines sauberen Kriegs angeht - gegen die Vorstellung, da gebe es klare Kombattanten, die sich auf zwei verschiedenen Seiten befinden und sich auf einer eindeutig gezogenen Frontlinie bewegen.
Felicia Herrschaft: Auch gegen den embedded Journalism wie er im Irak-Krieg jetzt praktiziert wurde?
CAROLIN EMCKE: Zu dem embedded Journalism gibt es ja ein ganz eindeutiges Kapitel in dem Abschnitt über den Irak-Krieg, bei dem ich aus meiner eigenen Erfahrung berichte. Meine Kritik an dieser Form der Kriegsberichterstattung speist sich aus meiner eigenen Reaktion darauf. Ich war nicht "embedded", aber ich habe eine Situation erlebt, die verdeutlicht hat, warum embedded journalismus kritische Berichterstattung so erschwert. Ich war per Zufall gemeinsam mit einer kurdischen Einheit an der Front zwischen Kirkuk und Mossul in einer Kampfsituation gelandet. Wir wurden mit Artellerie und von Scharfschützen beschossen. Und in dieser Situation der existentiellen Bedrohung, die du gemeinsam mit den Soldaten in einen Kampfverband integriert erlebst, verbindest du dich mit diesen Soldaten. Du wünschst dir, schon aus reinem Überlebensinstinkt, sie mögen doch gewinnen, mögen doch den Gegner zurückschlagen. Vielleicht gibt es einzelne journalistische Kollegen, die ganz besonders heroisch sind und denen es möglich ist, sich diesem Zwang zur Verbindung mit den Soldaten, von deren Einsatz dein eigenes Leben abhängt, zu widerstehen. Vielleicht gibt es einzelne, denen immer noch die nötige Distanz möglich ist. Meine Erfahrung widerspricht dem. Insofern halte ich es für die intelligenteste Maßnahme des Pentagon überhaupt, die sie in den letzten vier Jahren getroffen haben, diesen embedded Journalism einzuführen, weil sie damit eine unglaublich intelligente Form der Zensur praktizieren, in dem sie die Journalisten einladen und integrieren in den Verband. Aber es ist eher eine deprimierende Erfahrung.
Felicia Herrschaft: Wie hast du dann eine andere Perspektive entwickeln können? Das passiert doch eher durch das kritische Nachfragen und zum Beispiel mit den Leuten vor Ort zu diskutieren, warum Deutschland diese Intervention aus völkerrechtlichen Gründen nicht unterstützen wollte?
CAROLIN EMCKE: Eine andere Perspektive entsteht dann, wenn man sich erst gar nicht auf dieses Spiel einlässt. Ich habe mich im Nordirak ansonsten gemeinsam mit dem Photographen Sebastian Bolesch auch immer frei bewegt. Ich habe mich nie einem Kampfverband embedded angeschlossen. Es gibt Situationen in denen man sich plötzlich in einem Kriegsgebiet befindet und sich dann im Beisein und von Soldaten und Militäreinheiten bewegt, aber eben immer als unabhängige Person, die gehen und weglaufen oder woanders hinfahren will, wann sie will. Das ist der entscheidende Punkt. Die andere Perspektive kommt daher, dass ich mich nur selten auf diese offiziellen Pressekonferenzen begebe oder den offiziellen Wegen folge. Ich versuche in Krisengebieten mir erst mal die Geographie zu erschließen, diese Landschaften von Gewalt zu verstehen und mich dann dorthin zu begeben, wo ich mit Opfern dieser Verwüstungen sprechen kann. Wenn man sich mit den Zivilisten auseinandersetzt, kann es passieren, dass sie einen viel weniger als Journalist behandeln, sondern als jemand Fremdes, der eine ganz andere Welt repräsentiert. Dann entstehen genau solche Situationen, das man gefragt wird: ja warum verhält sich denn Deutschland so und warum verhält sich Europa so und das ist dann schon der Moment, indem man im Grunde genommen, den Stift und den Notizblock beiseite legt und einfach versucht zu diskutieren.
Felicia Herrschaft:Was macht man in einer Situation, wenn man eigentlich Kinder besser schützen möchte wie in Rumänien als Dir ein Kind zum Kauf angeboten wurde. Wird man sich dann der eigenen Hilflosigkeit bewusst und ist dann das einzige Mittel zu berichten, weil man nicht wirklich eine verantwortliche Position einnehmen kann?
CAROLIN EMCKE: Gelegentlich beneidet man diejenigen, die praktische Hilfe leisten können wie das Rote Kreuz oder Entwicklungshelfer die vor Ort sind. Gelegentlich würde ich mir wünschen dieses Gefühl zu haben, das man etwas ausrichten kann, aber gleichzeitig muss ich sagen und davon erzählt das Buch eben auch, dass mir immer und immer wieder begegnet ist, Menschen die ich getroffen habe, die keineswegs nur praktische Fragen haben oder um Geld bitten oder ob man sie mit dem Wagen irgendwohin fahren, sondern sehr häufig haben mich Menschen gefragt: "Schreibst du das auf?" Ich glaube, diese Menschen hoffen gar nicht allein, dass dann die Welt käme, um ihnen dort aus dem Elend zu helfen, sondern sie wollen etwas anderes. Opfer, die dauerhaft und permanent struktureller Gewalt ausgesetzt sind, verlieren irgendwann den Glauben, dass das was ihnen widerfährt, Unrecht ist. Irgendwann übernehmen sie tatsächlich ein Stück weit die Perspektive der Täter, die sie stigmatisieren, ausschließen, misshandeln oder ihre Verwandten umbringen. Wenn dieses Unrecht andauert, glauben sie irgendwann daran! Denn es kann ja nicht sein, dass es Unrecht ist, wenn es niemals gestoppt wird. Sie begegnen mir deshalb als jemanden, der schreibt, als jemandem, der sie darin bestätigt, dass das, was ihnen widerfährt tatsächlich Unrecht ist. Das ist eine Aufgabe, die vielleicht gering wirkt und die natürlich aller praktischen Hilfe vorgängig ist, aber nachdem, was ich erlebt habe, scheint sie sehr wichtig zu sein.
Felicia Herrschaft: Der Zeuge hebt die Erfahrung der Menschen in den Flüchtlingslagern in der Position des „Homo Sacer“ zu sein auf?
CAROLIN EMCKE: Dass überhaupt jemand zu ihnen kommt und ein Gespräch aufnimmt, hebt sie wieder in den Status eines menschlichen Wesens, eines Gegenübers, weil eine Art intersubjektiver Beziehung hergestellt wird, die sie in eine normale Situation zurückversetzt. Vorher erfahren sie ja nur vollkommene Negation. Nicht nur in pragmatischer Hinsicht, insofern sie eben ausgeschlossen und ausgesperrt werden, sondern auch weil sie vergessen werden und niemand sie überhaupt als menschliche Wesen ernst nimmt. Durch die Begegnung und das Gespräch werden sie erstmal überhaupt wieder hineingeholt in dieselbe Gemeinschaft.
Felicia Herrschaft: Das Buch ist Sebastian Bolesch gewidmet, warum?
CAROLIN EMCKE: Sebastian Bolesch ist der Fotograf, der mich auf sehr vielen Reisen begleitet hat. Einerseits ist er ein wirklich herausragender Fotograf für Krisengebiete auf der ganzen Welt und gleichzeitig jemand, der besonders behutsam vorgeht, anders als es das Klischee von Fotografen in Kriegsgebieten suggeriert. Sebastian Bolesch ist jemand, ohne den ich viele Situationen nicht so unversehrt überstanden hätte. Wenn man alleine fährt ist man sehr ausgeliefert und mit jemanden zu reisen, der ähnlich politisch motiviert ist wie ich und gleichzeitig einen ungewöhnlichen und ganz anderen Blick auf diese Regionen hat und sich auch für die Opfer interessiert und nicht für die gängigen schnellen, oberflächlichen Bilder, hilft sehr. Sich mit ihm beständig austauschen zu können, hat mir sowohl meine eigenen Geschichten möglich gemacht und dieser dauernde Dialog hat mich noch einmal meiner eigenen Wahrnehmung versichert. Das hat mich einfach durch viel Leid durchgetragen.
Felicia Herrschaft: Jetzt sind die ersten Wahlen in Afghanistan gewesen. Wird es dort eine gute Entwicklung nehmen im Verhältnis zur Situation im Irak, da dort nun Entwaffnungen stattfinden? Hast Du einen positiven Ausblick?
CAROLIN EMCKE: Einen positiven Ausblick habe ich jetzt noch nicht wirklich. In Afghanistan gibt es sicherlich mehr Gründe für einen positiven Ausblick als im Irak. Im Irak gibt es gar keine Lösung, bevor nicht die Amerikaner sofort und unverzüglich abziehen. Sie können dort zur Zeit nichts richtig machen, weil ihre schiere Präsens ein dauernder Stachel ist und nur die Wut und den Zorn und den Terror dort schürt, ganz egal was sie tun. Die historisch gewachsenen Sensibilitäten, die durch die Anwesenheit einer ausländischen Macht ausgelöst und geschürt werden, lassen sich nicht einfach ignorieren durch den vorgeblichen Wunsch und die Rhetorik, dort helfen zu wollen. Die Anwesenheit ausländischer Truppen wirkt nurmehr demütigend auf weite Teile der irakischen Bevölkerung, das martialische Auftreten der Verbände dort, die absurden Geschäftspraktiken der amerikanischen Firmen, die fatale, wirklich fatale Ignoranz der Amerikaner gegenüber den historischen, kulturellen und religiösen Befindlichkeiten haben dazu geführt, dass sie zu lange auf die falschen Einflüsterer gehört haben und die moderaten Gesprächspartner beständig gedemütigt und verärgert haben. Jetzt ist die Situation derart eskaliert, alle Beteiligten polarisiert und radikalisiert, dass exakt die falschen Personen und Gruppen zulauf gefunden haben. In Afghanistan bin ich sehr viel optimistischer, allerdings muss ich dazu sagen, bisher ist Präsident Karsai ein Bürgermeister von Kabul und kein Präsident eines Nationalstaates Afghanistan. Ich sehe noch keine Anzeichen dafür, dass eine ordnende Gewalt jetzt im positiven Sinne unter einem rechtsstaatlichen Gemeinwesen zusammenfindet. Aber es ist ein Land, dem ich es ganz besonders wünsche, denn es ist das schönste Land, in dem ich je gewesen bin.
Felicia Herrschaft: Hast du schon mal über Kindersoldaten im Kongo gearbeitet?
CAROLIN EMCKE: Nein. Sebastian Bolesch hat sehr viel über Kindersoldaten gearbeitet und eine ganz große Serie von Bildern aus ganz verschiedenen Ländern der Welt und verschiedenen Kontinenten gemacht. Ich bin kaum in Afrika gewesen. Ich kenne mich gar nicht dort aus.
Felicia Herrschaft:Wohin geht die nächste Reise?
CAROLIN EMCKE: Die nächste Reise soll nach Lagos gehen in Nigeria.
Felicia Herrschaft: Das ist ja schon in die Nähe?
CAROLIN EMCKE: Na ja (lachen). Nähe ist gut. Es ist immerhin schon Afrika.
Vielen Dank für das Gespräch.
Carolin Emcke (geb. 1967) promoviert in Philosophie in Frankfurt am Main und ist seit 1998 Redakteurin beim „Spiegel„ und als Auslandsredakteurin in vielen Krisengebieten unterwegs
Carolin Emcke: "Von den Kriegen. Briefe an Freunde", S. Fischer Verlag, 18,90 Euro. |
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