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Frankfurt und Offenbach fordern:

 

SCHLUSS MIT DEN REISEBEHINDERUNGEN GEGEN PARASTOU FOROUHAR!

 

www.nouripour.de/uploads/media/Frankfurt_fordert_schluss_mit_den_Reisebehinderungen_gegen_Parastou_Forouhar.pdf

 

Parastou Forouhar lebt und arbeitet seit 11 Jahren im Rhein-Main-Gebiet.

Wie in jedem Jahr fuhr sie im November 2009 in den Iran um eine Gedenkveranstaltung für ihre ermordeten Eltern zu organisieren. Vergangenen Samstag (12.12.09) war Parastou Forouhar einer inoffiziellen Vorladung beim Informationsministerium gefolgt, um den Grund für den Entzug ihres Passes zu erfahren. Man versprach ihr, sie würde „in Kürze“ angerufen, damit sie ihren Pass abholen könne. Sie wird jedoch bis zum heutigen Tage hingehalten.

 

Der iranische Geheimdienst, der als Informationsministerium firmiert, steht im

Zusammenhang mit den unaufgeklärten Morden an Parastou Forouhars Eltern Darius und Parwaneh Forouhar. Diese wurden während einer Serie von politischen Morden an Schriftstellern und Andersdenkenden, am 21. November 1998 in ihrem Haus von einem Kommando des iranischen Geheimdienstes getötet.

 

Als Grund für den Einzug ihres Reisepasses, wurden Parastou Forouhar ihre zahlreichen Interviews vorgehalten, die sie in den vergangenen Wochen und Monaten gegeben hat.

 

In diesen Interviews gab sie wiederholt Auskunft über die Umstände des politischen Verbrechens an ihren Eltern und sprach auch über Behinderungsmaßnahmen im

Zusammenhang mit dessen Aufklärung und dem alljährlichen Gedenktag.

Parastou Forouhar lebt seit Anfang der 1990er Jahre in Deutschland. Sie hat ihren Arbeits - und Lebensmittelpunkt hier, bei uns!

 

Die Behinderung der Ausreise von Parastou Forouhar ist Teil einer Zermürbungs- und Schikanetaktik, die ihr gegenüber seit 11 Jahren angewandt wird.

 

Es ist nun an der Bundesregierung, sich für Parastou Forouhar einzusetzen und auf die sofortige Rückgabe ihres Passes und für die direkte Rückreisemöglichkeit in die Bundesrepublik Deutschland einsetzen.

 

Parastou Forouhar will sich ihr Bürgerrecht und ihre freie Entscheidung, unbehelligt aus- und einreisen zu können, nicht nehmen lassen und baut auf unser aller Hilfe und Solidarität.

 

Von den iranischen Machthabern fordern wir, nach wie vor und immer wieder, ein sofortiges Ende aller Repressionen gegen Parastou Forouhar und die Anerkennung der allgemein gültigen und unveräußerlichen Menschenrechte.

 

 

Unterzeichnet von Felicia Herrschaft, Philipp v. Leonhardi, Leonhardi Kulturprojekte, Frankfurt am Main 18.12.2009

 

 

 

 

 

cho. FRANKFURT, 7. Dezember. Die in Deutschland lebende iranische Künstlerin Parastou Forouhar, deren Eltern 1998 vom iranischen Geheimdienst ermordet wurden, wird seit Samstag in Iran festgehalten. Frau Forouhar war wie jedes Jahr im November nach Teheran gereist, um des Mordes an ihren Eltern am 21. November 1998 zu gedenken. Als sie am Samstag nach Deutschland zurückkehren wollte, wurde ihr auf dem Flughafen der Reisepass abgenommen und ein Ausreiseverbot erteilt. Sie wurde nicht verhaftet, sollte aber am Montag im "Amt für Ausreiseangelegenheiten" vorsprechen - in einem hinter hohen Mauern gelegenen Gebäude, das in Teheran "das steinerne Gebäude" genannt wird. Wie sie dort erfuhr, liegt beim Revolutionsgericht eine Anklage gegen sie vor. Diese hat jener Geheimdienst erhoben, dessen Mitarbeiter vor elf Jahren ihre Eltern ermordet hatten. Grund dafür sind offenbar Telefoninterviews, die Frau Forouhar im Zusammenhang mit dem Jahrestag gegeben hatte.

 

Damit bekommt auch Frau Forouhar die verschärfte Repression seit den Unruhen um die Präsidentenwahl im Sommer zu spüren. Nach den Demonstrationen waren Tausende Teilnehmer und Hunderte politischer Aktivisten, Reformpolitiker, Studenten, Journalisten und Intellektuelle verhaftet worden. Viele kamen frei, die Verhaftungen dauern aber in geringerem Umfang bis heute an. Inzwischen sind einige Urteile, darunter auch ein Todesurteil, ergangen. Den Angeklagten sollte meist nachgewiesen werden, dass die Proteste der "grünen Bewegung" aus dem Ausland gesteuert worden und Teile einer geplanten "samtenen" Revolution in Iran seien.

 

Seit 1991 lebt und arbeitet Parastou Forouhar in Frankfurt, hat aber einen iranischen Pass. Nun will sie sich zunächst mit einer Anwältin beraten und Akteneinsicht beantragen, um zu verstehen, was man ihr vorwirft. Die Interviews allein dürften kein ausreichender Grund für die Anklage sein, die bei der für Sicherheit zuständigen Abteilung 12 des Revolutionsgerichts erhoben wurde.

 

Öffentliche Gedenkfeiern sind ihr schon länger untersagt. In den ersten Jahren nach dem Mord waren sie von Hunderten Menschen zu politischen Protesten genutzt worden. Das private Gedenken in ihrem Elternhaus war bisher möglich, verbunden mit einigen Interviews, um das Andenken an ihre Eltern aufrechtzuerhalten, die sich als Aktivisten der "Nationalen Front" sowohl unter dem Schah als auch während der Islamischen Republik für ein demokratisches Iran einsetzten. In den vergangenen Jahren hatten Sicherheitskräfte die Straßen um das Haus in einem der zentralen Bezirke der iranischen Hauptstadt am Vorabend des Gedenktages abgeriegelt.

 

Den Unmut der iranischen Behörden erregt Frau Forouhar schon lange, weil sie weiter verlangt, die Ermordung ihrer Eltern vollständig aufzuklären. Parwaneh und Dariush Forouhar waren 1998 in ihrem eigenen Haus erstochen worden, in der Zeit der sogenannten "Serienmorde" an iranischen Intellektuellen. Die Spuren, die in den Geheimdienst führten, wurden unter dem damaligen Reformpräsidenten Mohammad Chatami zunächst verfolgt und führten zur spektakulären Entlassung des Geheimdienstchefs. Zum ersten Mal schien es möglich, gegen die Gewalt des islamischen Systems vorzugehen. Aber der mutmaßliche Täter starb unter mysteriösen Umständen in der Haft, einige niederrangige Geheimdienstmitarbeiter wurden verurteilt und später rasch begnadigt. Frau Forouhar ist davon überzeugt, dass nicht zu Ende ermittelt wurde und es Auftraggeber für die Morde gegeben haben muss.

 

 

Alle Rechte vorbehalten. (c) F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main

 

 

 

In einem Interview für ArtMag hat die iranische Künstlerin Parastou Forouhar im Sommer dieses Jahres noch von ihren Hoffnungen auf eine Verbesserung der politischen Situation in ihrer Heimat gesprochen. Jetzt wurde die Künstlerin auf dem Teheraner Flughafen an der Rückkehr nach Deutschland gehindert, wo sie seit 1991 lebt. Ihr wurde der Pass abgenommen, das Informationsministerium reichte Klage gegen sie ein. Freunde der Künstlerin haben inzwischen auf Facebook eine Solidaritätskampagne gestartet: die Mitglieder des sozialen Netzwerks werden dabei aufgefordert, das eigene Profilbild durch ein Porträtfoto der Künstlerin zu ersetzen, um diesen Fall stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu rücken.

 

Grund für die Anklage gegen Parastou Forouhar ist die Gedenkfeier, die sie alljährlich in Teheran veranstaltet, um an das Schicksal ihrer Eltern zu erinnern – führende iranische Oppositionelle, die 1998 brutal ermordet wurden. "Diese Gedenkfeier wurde für illegal erklärt", berichtete sie im Interview mit ArtMag. "Aber wir beharren auf unserem Recht und kündigen das an. Dann kommen die Sicherheitskräfte ganz früh am Morgen und verbarrikadieren die Straße. Sie stellen Kameras auf und kappen das mobile Funknetz in unserem Viertel. Das geht seit 5 Jahren so." In diesem Jahr untersagten ihr die iranischen Behörden, selbst enge Verwandte und Freunde im Haus ihrer Eltern zu empfangen. Parastou Forouhar machte dies in Interviews mit ausländischen Radiosendern öffentlich. Für das iranische Regime offenbar ein willkommener Vorwand, um ihr die Ausreise zu verweigern und sie gerichtlich zu verfolgen.

 

Verdächtiges Gedenken

von Katajun Amirpur

 

Die Künstlerin Parastou Forouhar wird in Iran festgehalten

"Wenn ich den Mordfall nicht verfolgen würde, hätte ich das Gefühl, meine Eltern noch einmal zu verlieren." Seit Jahren setzt sich die bei Frankfurt lebende iranische Künstlerin Parastou Forouhar dafür ein, dass der Mord an ihren Eltern geahndet wird. Sie waren am 21. November 1998 in Teheran vom Geheimdienst umgebracht worden. Jetzt ist Forouhar am Teheraner Flughafen an der Ausreise gehindert worden. Die Behörden zogen ihren Pass ein und erklärten ihr, das Informationsministerium habe Anklage gegen sie erhoben. Hintergrund sind vermutlich die Interviews, die Forouhar in den letzten Wochen gegeben hat.

 

 

Parastou Forouhar reist seit 1998 einmal jährlich nach Iran, um eine Gedenkveranstaltung für ihre Eltern zu organisieren. Ihre Eltern, zwei Aktivisten der "Partei des iranischen Volkes", waren die ersten Opfer einer politisch motivierten Mordserie. Neben ihnen wurden im Herbst 1998 auch die Schriftsteller Mohammad Mochtari und Dschafar Puyandeh umgebracht. Da man die Autoren, die sich für die Wiederzulassung des Schriftstellerverbandes eingesetzt hatten, erdrosselt im Straßengraben gefunden hatte, gingen alle Morde als "die Kettenmorde" in die iranische Geschichte ein.

 

Dariush Forouhar und seine Frau Parwaneh hatten sich schon unter dem Schah und dann in der Islamischen Republik für Demokratie eingesetzt. Sie forderten die Trennung von Religion und Staat, gehörten zum säkular-nationalen Spektrum der Opposition. Der Mord an den Forouhars glich einer Hinrichtung. Parwaneh Forouhar wurde mit über zwanzig Messerstichen in der Brust aufgefunden. In den Tagen nach dem Mord ging das Grauen um in Teheran. Jeder Oppositionelle fürchtete, er könnte der Nächste sein. Es gab Gerüchte von Todeslisten mit Namen von Regimekritikern. Darunter waren Reformtheologen, Studentenführer und Frauenrechtlerinnen.

 

Die Morde sollten das Vertrauen in den reformorientierten Präsidenten Mohammed Chatami erschüttern, denn dieser hatte Rechtssicherheit versprochen, und sie sollten allzu aufsässigen Reformern eine Warnung sein. Doch gerade ihnen war zu verdanken, dass der Geheimdienst, der gegen den Präsidenten arbeitete, zugeben musste, die Morde in Auftrag gegeben zu haben. Die Reformregierung setzte den Rücktritt des Geheimdienstministers und die Verhaftung einiger Agenten durch. Sehr schnell waren sie jedoch wieder auf freiem Fuß und fanden sich diejenigen hinter Gittern wieder, die maßgeblich zur Aufklärung der Kettenmorde beigetragen hatten. Akbar Ganji beispielsweise, der von 2000 bis 2006 inhaftiert war und erst nach einem siebzigtägigen Hungerstreik wieder frei kam. Nicht belangt wurden die Hintermänner der Kettenmorde. Deshalb kämpft Parastou Forouhar bis zum heutigen Tag: jedes Jahr vor Gericht in Iran und vor allem gegen das Vergessen. Sie versucht jedes Jahr, am Jahrestag der Ermordung eine Gedenkveranstaltung zu organisieren, die vermutlich Zehntausende besuchten, wenn die Behörden es nicht verhindern würden. Nicht nur waren die Forouhars besonders beliebt, die Bevölkerung solidarisiert sich schon aus religiösen Motiven mit den Hinterbliebenen unschuldiger Opfer.

 

Doch Forouhar darf keine Räume anmieten, und die Straßen rund um ihr Elternhaus werden weitläufig abgeriegelt. In diesem Jahr war eine für die sogenannte Grüne Bewegung, die sich im Anschluss an die Wahlfälschung vom Sommer formiert hat, typische Form des Gedenkens über das Internet verbreitet worden: Man verharrt für zehn Minuten im Andenken an die Opfer der politischen Morde, egal wo man ist: bei der Arbeit, auf der Straße.

 

Auch in der Kunst Parastou Forouhars sind die Morde allgegenwärtig. "Schuhe ausziehen" heißt beispielsweise eine Bilderserie. Eindrucksvolle Bilder, die Ohnmacht in Kunst bannen. Forouhar und ihre Anwältin, die Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi, sind hier zu sehen, zwei Frauen, gedemütigt, aber standhaft vor einem allmächtigen Justizapparat. Es ist ein Kampf, der mehr als nur Zähigkeit erfordert. Forouhar erzählt, wie dieser Bilderzyklus entstand: Sie wollte Akteneinsicht, die ihr schließlich, nach monatelangem Ringen, gewährt wurde. Zehn Tage bekam sie Zeit zum Lesen - in einem Raum sitzend mit den Mördern. Die Justizbeamten hielten es nicht für nötig, die Mörder und die Tochter der Opfer räumlich zu trennen. So reichten die Täter die Akten, die sie gerade gelesen hatten, an Forouhar weiter.

 

Einmal kam der Richter auf Forouhar mit einem Vorschlag zu: "Wenn du auf die Todesstrafe für die Mörder verzichtest, kannst du von ihnen ein Blutgeld verlangen." Nach islamischem Recht entgeht der Mörder der Todesstrafe, wenn die nächsten Verwandten eine finanzielle Kompensation, das sogenannte Blutgeld, akzeptieren. "Du bekommst diese Summe für deinen Vater und die Hälfte davon für deine Mutter", sagte der Richter.

 

Nach einer konservativen Deutung des islamischen Rechts ist das Blutgeld für einen Mann doppelt so hoch ist wie das für eine Frau. "Die Hälfte davon für deine Mutter", dieser Satz klingt Forouhar bis heute in den Ohren. Die Erinnerung an ihre starke Mutter stieg in ihr auf, die zeit ihres Lebens für Demokratie und Freiheit gekämpft hatte und dafür, dass ihre Kinder einmal in einem besseren Iran leben würden. "Abgesehen davon, dass man keinen Menschen mit Geld aufwiegen kann", sagt Parastou Forouhar, "war dieser Satz einfach furchtbar: die Hälfte davon für deine Mutter."

 

Deshalb ist Forouhar auch in diesem Jahr nach Iran geflogen: Damit ihrer beider gedacht wird. Sie wusste, dass es gerade in diesem Jahr gefährlich sein würde. Doch Parastou Forouhar ist nicht der Typ, der zurücksteckt. Und sie führt den Kampf ihrer Eltern auf ihre Weise fort - mit künstlerischen Mitteln. In diesem Jahr hatte sie eine Ausstellung organisiert. Ein Video davon, das bei Youtube eingestellt ist, zeigt unter der Decke schwebende Ballons.

 

Forouhar erläutert im Interview, dass sie damit die beiden Gegenpole von Sicherheit und Unsicherheit zeigen will: Die Luftballons stehen für die Sicherheit und Leichtigkeit, die sie in der Kindheit mit ihren Eltern verspürt hat. Doch auf den Luftballons sind typisierte ornamentale Folterszenen abgebildet. Erstaunlicherweise konnte diese Ausstellung stattfinden, anders als eine andere, sechs Jahre zuvor, als die Galerie kurz vor der Eröffnung einen Anruf erhielt und von der Eröffnung abgeraten wurde: "Und wer sich in der politischen Kultur Irans auskennt, weiß, was damit gemeint ist, wenn einem geraten wird, etwas besser nicht zu tun." Deshalb habe sie damals die Ausstellung mit Rahmen ohne Bilder eröffnet. Im Interview sagt sie: "Man kann in Iran viel aussagen. Vor allem mit Rahmen, die keine Bilder enthalten."

 

Bislang schien es so, dass Iraner, die im Ausland lebten und sich vornehmlich im Ausland äußerten, geschützter waren. Doch diese Art von Schutz gibt es offensichtlich nicht mehr. Deshalb besteht auch angesichts der Schauprozesse, die in Iran in den letzten Monaten stattgefunden haben, Anlass zu größter Sorge.

 

 

Eine Familie im Widerstand

 

 

Von Christiane Hoffmann

 

Sie kämpften für ein demokratisches Iran, bis sie der Geheimdienst vor zehn Jahren ermordete. Seitdem kommt am Todestag die Tochter aus Deutschland nach Teheran, treffen sich die Verwandten in ihrem Elternhaus. Selbst diese Gedenkfeier haben die Behörden inzwischen verboten.

 

 

Der Widerstand ist weiblich. Er ist leise, beharrlich und geduldig, er hat den langen Atem derer, die Kinder aufziehen und wissen, dass alles weitergeht und Zeit braucht. Er ist nicht aufrührerisch, er will nur nicht weichen. Der Widerstand ist kein Kampf. Die Kämpfer sind tot.

 

Der Widerstand wohnt in einem Haus im Teheraner Stadtteil Baharestan unweit des alten Parlaments, in einem Viertel mit engen Gassen und zweistöckigen Häusern, in denen Lehrer, Taxifahrer und kleine Beamte leben. Das Haus ist durch ein hohes Eisentor von der Gasse getrennt. Es ist Parastou Forouhars Elternhaus. Es ist das Haus, in dem ihre Eltern ermordet wurden.

 

An einem Novemberabend vor zehn Jahren klingelten die Mörder unten am Tor. Die Eltern waren allein im Haus, zwei Menschen, die sich dem politischen Kampf für ein demokratisches Iran verschrieben hatten, die erst gegen den Schah und dann gegen die Islamische Republik gekämpft hatten. In der kurzen hoffnungsvollen Zeit nach der Revolution war Dariush Forouhar Arbeitsminister gewesen. Davor und danach hatte er viele Jahre im Gefängnis gesessen und die Säuberungen in den achtziger Jahren nur überlebt, weil Chomeini ihn persönlich schätzte.

 

Im Haus fällt der Blick zuerst auf das riesige Porträt des Vaters am Ende des Eingangsflurs, das auf dem Beerdigungszug getragen wurde. "Es ist nicht besonders gut", sagt Parastou, "aber der Blick ist getroffen: Er folgt einem überallhin. Manchmal rede ich mit diesem Bild und versuche herauszufinden, was mein Vater denkt. Ich suche den Blick, um zu wissen, ob meine Eltern zufrieden sind."

 

Parastou hat Iran Anfang der neunziger Jahre verlassen, lebt als Künstlerin in Deutschland. Aber jedes Jahr kehrt sie zum Todestag der Eltern nach Teheran zurück. Zur Gedenkfeier für die Toten - in Iran ist eine Gedenkfeier Widerstand. Das hat Tradition, jeder versteht es, und deshalb ist es gefährlich: Die Revolution von 1979 begann mit den Gedenkfeiern für die Toten, die von den Soldaten des Schahs erschossen worden waren.

 

Ein Jahr nachdem Dariush und Parvaneh Forouhar ermordet wurden, kamen so viele Menschen zur Gedenkfeier, dass sie nicht alle in der Moschee des Viertels Platz hatten. Damals hielt Parastou eine Ansprache, dann zogen die Menschen in einem Trauerzug zum Haus. Sie redeten und sangen. Alle möglichen Oppositionsgruppen waren vertreten: Studenten und die alten Herren von den säkularen Parteien, der Führer der Bewegung für unabhängige Gewerkschaften und die Frauen von der Frauenbewegung. "Seither haben sie uns immer weniger Raum gelassen", sagt Parastou. "Sie wollen erreichen, dass der Todestag seine Kraft verliert." Erst wurde die Veranstaltung in der Moschee verboten, dann an jedem anderen öffentlichen Ort. Nun ist zum dritten Mal auch die private Gedenkfeier untersagt. Sicherheitskräfte sperren das Viertel ab, nicht einmal die engsten Freunde werden in das Haus vorgelassen.

 

Es ist Freitag, der 21. November, der 10. Todestag, sechs Uhr morgens. Parastou und ihr Bruder sind aus Deutschland gekommen. Gemeinsam mit den Verwandten, den drei Schwestern, dem Bruder und der Mutter der Ermordeten, haben sie die Nacht im Haus verbracht, auf Matratzen am Boden, auf Sofas. Der Letzte, der im Morgengrauen noch hineinkommt, ist ein Kurde. Er trägt die traditionelle Tracht, eine weite graue Pumphose. Dariush Forouhar hatte im Gefängnis Kurdisch gelernt und nach der Revolution versucht, zwischen Teheran und den nach Autonomie strebenden Kurden zu vermitteln. Deshalb verehren sie ihn bis heute. Bevor der Kurde sich verabschiedet, geht er noch einmal in das Arbeitszimmer, wo Forouhar erstochen wurde. Elf Messerstiche brauchten sie, bis der Siebzigjährige sich nicht mehr regte. Dann drehten sie die Leiche in Richtung Mekka.

 

Die kleine Gasse ist jetzt von beiden Seiten verbarrikadiert, eine Belagerung besonderer Art: Niemand darf hinein. Die Sicherheitskräfte nennen das Quarantäne. Tags zuvor ist Parastou bei den zwei Bäckern in der Nachbarschaft gewesen und hat das Brot für den heutigen Tag bezahlt, damit es kostenlos an die Leute verteilt werden kann. Wer sein Brot umsonst bekommt, wird für die Toten beten. Sie hat auf dem Basar Blumen gekauft, weiße Gladiolen, gelbe Lilien und stark duftende Narzissen. Sie hat Kerzen aufgestellt: im Arbeitszimmer des Vaters und im oberen Stock auf dem Teppich an der Stelle, wo die Mutter erstochen wurde. Es sind diese kleinen Handlungen, die den Widerstand bedeuten. Es geht darum, etwas zu tun, um nicht tatenlos zu werden.

 

Als sie vor zehn Tagen nach Teheran kam, gab sie zuerst eine Anzeige für die Gedenkfeier in der Zeitung auf. Sie schöpfte Hoffnung, weil die Anzeige tatsächlich erschien. Aber tags darauf, wurde sie vom Geheimdienst vorgeladen. Die Feier wurde untersagt. Es gebe Bedenken "wegen erhöhten Verkehrsaufkommens", steht in dem Protokoll, das sie unterzeichnen musste. Sie kennt diese Vorladungen. Nicht immer wird sie unfreundlich behandelt. Manche geben ihr zu verstehen, dass auch sie den Mord verurteilen. Ein anderes Mal drohen sie wieder. "Sie müssen sich in Acht nehmen, wir beobachten Sie, auch im Ausland."

 

Nach den Morden ging ein Aufschrei durch das Land. Offen wurde von politischen Morden gesprochen. Die Reformer unter Präsident Mohammad Chatami versprachen Aufklärung. Erstmals wurde wirklich ermittelt. Die Spuren führten in den Geheimdienst. Der zuständige Minister musste gehen. Achtzehn Geheimdienstmitarbeiter wurden verhaftet und verurteilt. Aber niemand verfolgte die Hinweise auf ihre Auftraggeber - weiter oben im System. Nach zwei Jahren wurde die Akte offiziell geschlossen. Parastou legte Beschwerde ein, intervenierte im Parlament und erhielt dort die Auskunft, man sei bei den Ermittlungen auf "Personen gestoßen, die wir nicht die Macht haben vorzuladen". Die Behörden sagen, der Fall sei aufgeklärt. Für Parastou war es ein Scheinprozess. Der Minister, der damals gehen musste, ist heute Generalstaatsanwalt. "Es geht mir nicht um persönliche Rache", sagt Parastou, "aber wenn ich mich damit abfände, würde ich das Unrecht eines Systems akzeptieren, das politische Morde plant." Die Behörden werfen ihr vor, dass sie das System in Frage stellt.

 

Es ist elf Uhr. Eine Tante sitzt am Esstisch und löst Kreuzworträtsel. Die Übrigen sitzen im oberen Stock vor einem winzigen Fernseher und sehen einen Piratenfilm. Sie sind nun alle schon über sechzig, aber mädchenhaft geblieben, bürgerliche Iranerinnen mit feinen Gesichtern und blond gefärbten Haaren. Keine der Tanten hat das politische Engagement ihrer Schwester geteilt. Warum kommen sie jedes Jahr wieder hierher? "Es ist das Einzige, was wir für sie tun können", sagen sie. Es ist für sie auch selbstverständlich, dass sie jedes Mal mit der 87 Jahre alten Mutter ins elterliche Haus von Parastou ziehen, wenn sie nach Teheran kommt. So ist es nicht zu einem Geisterhaus verkommen, sondern steht für einen familiären Zusammenhalt, der auch zu einer Form des Widerstands geworden ist. Die Großmutter ist die Einzige, die sich nicht fraglos in das Schicksal der Hinterbliebenen fügt. Sie ist nicht stolz, sondern fast ein wenig böse über die Tochter, die sich für die politische Sache opferte und nicht für ihre Familie. Und sie ist verbittert über ein Regime, das im Namen Allahs ihre Tochter umbrachte. Seit dem Mord kann die alte Frau nicht mehr beten - und nicht in Frieden sterben.

 

Es ist zwölf Uhr. Sie erfahren, dass der Kurde verhaftet wurde. Man hat ihn auf die Wache gebracht, verhört und gezwungen, seine kurdische Tracht auszuziehen. Arasch, der Bruder, sitzt im Wohnzimmer. Über dem Kamin hängt das Porträt von Mohammed Mossadegh, dem Ministerpräsidenten, der Anfang der fünfziger Jahre den Briten die Kontrolle über die iranischen Ölvorkommen entriss und dann von der CIA gestürzt wurde. Er wurde zur Ikone aller demokratischen und nationalen Bewegungen Irans. Parastou hat das Wohnzimmer in ein Museum verwandelt mit Bildern von den politischen Auftritten der Eltern. Das Haus, Ort der Kindheit und dann des Schreckens, wird langsam zum Ort des Gedenkens. "Meine Eltern haben erreicht, was sie wollten", sagt der Bruder. "Sie wollten nicht im Bett sterben. Und jetzt müssen wir damit zurechtkommen." Er selbst hatte mit seiner Familie ein Jahr vor der Ermordung Iran verlassen. "Ich war das beste Mittel für den Geheimdienst, meine Eltern unter Druck zu setzen." Eine Dissidentenkindheit, das hieß: Abenteuer und Heimlichkeiten. Der Vater wohnte im Gefängnis. Und es bedeutete, dass Arasch nicht studieren konnte, nicht die Pilotenausbildung machen.

 

Morddrohungen hatte es schon oft gegeben. Einmal, noch zur Schah-Zeit, explodierte eine Bombe in der Wohnung. Später, als Erwachsener, schlief Arasch mit der Pistole unter dem Kopfkissen. "Ich habe immer damit gerechnet, die Tür zu öffnen und dahinter Blut zu sehen", sagt er. Nach der Ermordung der Eltern hat er drei Jahre lang für die Aufklärung des Verbrechens gekämpft. Er verliert seine Arbeit, verschuldet sich. Dann gibt er auf. Es ist die Zeit Präsident Chatamis, im Westen hat sich das Bild der Islamischen Republik verändert. "Warum hast du nichts getan?", fragt jetzt sein fünfzehnjähriger Sohn. Auch damit muss er leben.

 

Mittlerweile ist es ein Uhr mittags. Im Haus ist es still. Von draußen dringt der Lärm der Stadt herein, das Hupen der Autos. Parastou liegt im Schlafzimmer ihrer Eltern auf dem Bett. Ihre Mutter war schon als junge Frau politisch aktiv, noch bevor sie den Vater kennenlernte. Bereits als Zwölfjährige klebte sie Flugblätter an Häuserwände. Beim Sturz Mossadeghs war sie 15 und begeistert von der nationalen Idee. Sie schnitt ihr Haar ab und verkaufte es, um Geld zu seiner Unterstützung aufzubringen. Den Vater lernte sie bei der politischen Arbeit kennen. Er war Jurist, der Rationale, der politische Stratege. Die Mutter war emotional, weicher. Die Eltern ergänzten sich, aber sie stritten auch, vor allem nach der Revolution, als die Religiösen die Macht übernahmen. Der Vater hatte die Zusammenarbeit mit den Islamisten gewollt, hatte geglaubt, sie beeinflussen zu können. Die Mutter war von Anfang an skeptisch. Dann begannen die Hinrichtungen. Aus Parastous Gymnasialklasse überlebten sechs Mädchen die erste Hinrichtungswelle nicht. Damals wurde ihr klar, dass sie dem politischen Weg ihrer Eltern nicht folgen wollte.

 

Es ist zwei Uhr. Alle sitzen um den runden Tisch vor der Küche und essen zu Mittag: Huhn und Safranreis mit Pinienkernen und Berberitzen. Immer wieder klingelt das Telefon, rufen Freunde an oder Leute, die nicht wagen, ihre Namen zu nennen, aber sagen, dass sie am Nachmittag kommen werden. Den Kurden haben sie wieder freigelassen. Jetzt hätte die Trauerfeier beginnen sollen. Parastou setzt sich auf die Treppe im Hof und raucht eine Zigarette. Auch im Hof vor den zwei Zypressen hat sie Kerzen aufgestellt. Sie hat die Zypressen im ersten Jahr gepflanzt, als Symbol der Unbeugsamkeit, aber sie gehen immer wieder ein. Siebenmal hat sie schon neue gesetzt. Über einem Gartenstuhl hängt die Jacke eines Besuchers, des einzigen, der an diesem Tag ungehindert kommt und geht. Der ihnen Nachrichten von draußen bringt und wohl auch umgekehrt. Sie kennen ihn schon lange. Auf welcher Seite steht er? "Es gibt so viele Grauzonen", sagt Parastou.

 

Es ist vier Uhr. Das Telefon klingelt jetzt ununterbrochen. Entweder ist es die BBC oder Voice of America, oder es sind Bekannte, die draußen an den Barrikaden stehen. Die Sicherheitskräfte lassen nicht zu, dass die Leute stehen bleiben. Es soll sich keine Menschenmenge bilden. Sie filmen alle Gesichter, drohen: "Wir werden euch beibringen, diesen Tag und diesen Ort zu vergessen." Vielleicht ist der Widerstand doch ein Kampf: gegen die Zerstörung der Erinnerung, gegen ihre Auslöschung, die wie ein weiterer Mord ist. Der Tod der Eltern hat Parastou in eine Rolle gedrängt, die sie zuvor nicht spielen wollte, vor der sie vielleicht sogar nach Deutschland geflohen war. So entsteht Widerstand: wenn man, um sich selbst treu zu bleiben, politisch werden muss. "Ich weiß nicht, ob das, was ich tue, persönlich oder politisch ist", sagt sie. "In Iran ist alles politisch. Es geht um die Aufklärung der Morde, um Wahrhaftigkeit, um die Abwehr der Lüge."

 

Parastou sieht, dass der Schock nach zehn Jahren nachgelassen hat. Eine Freundin ruft an, die an diesem Tag nicht zu den Barrikaden gegangen ist, sondern zu einer Vernissage. Früher hätten Künstler nicht am Todestag der Forouhars eine Ausstellung eröffnet. Aber die Erinnerung hat ihre Kraft noch nicht verloren: Wenn Parastou nach Teheran kommt, wird das Haus zum Anlaufpunkt für Oppositionelle. Am Wochenende zuvor war das ganze Wohnzimmer voller Studenten der Amir-Kabir-Universität, wo Ahmadineschad mit dem Ruf "Nieder mit dem Diktator" begrüßt worden war.

 

Als es dunkel ist, stellt Parastou mit ihrem Bruder überall im Hof Teelichter auf. An jenem Abend vor zehn Jahren kamen die Mörder nach elf Uhr. Was genau geschah, weiß Parastou bis heute nicht. Möglicherweise gab es zuerst ein Streitgespräch mit dem Vater. Sicher ist, dass alles auf Tonband aufgezeichnet wurde. Die physische Vernichtung von Oppositionellen gehörte offiziell zu den Aufgaben dieser Geheimdienstabteilung. Das geht aus den Vernehmungen hervor. Die Aussagen der Verhafteten lassen erkennen, dass sie gar nicht verstanden, warum dieses Mal so ein Skandal aus dem Mord wurde. Sie hatten wie immer einen Zuschlag für Mehrarbeit erhalten.

 

Kastentext:

 

Elf Messerstiche brauchten sie, bis sich der Siebzigjährige nicht mehr regte.

 

Drohungen hat es viele gegeben. Eine Bombe explodierte in der Wohnung.

 

"Wir werden euch beibringen, diesen Tag und Ort zu vergessen."

 

 

Bildunterschrift: Teelichter zur Erinnerung: An dieser Stelle wurde Parastous Mutter umgebracht.

 

Ein Dissidentenleben: Erst hatten sie sich dem politischen Kampf gegen den Schah verschrieben, dann begehrten sie gegen die Islamische Republik auf: Dariush und Parvaneh Forouhar. Er war nach der Revolution Arbeitsminister, davor und danach saß er viele Jahre im Gefängnis.

 

Vor dem Porträt des Vaters: Auch nach einem Jahrzehnt lässt sich die Tochter nicht einschüchtern.

 

Fotos Getty/Kavah Kazemi (2), privat (5)