Reenacting Moments 1 - Prishtina



























Der Riss

Leonhardi sei Dank: Treffen serbischer und kosovarischer Künstler

 

"To be a Künstler, you have to arbeiten." Seit Ankunft in der kosovarischen Hauptstadt Prishtina sind erst wenige Stunden vergangen. Jeder Eindruck seit dem Abflug in Frankfurt schreibt sich gravierend ins Bewusstsein ein. Und so fällt dieser auf einem kleinen Papier im Kunstraum "Rhizome" stehende Satz sofort auf. Übersetzt man diese Babel-Aussage aus der Feder des albanischen Künstlers Dren Maliqi, wird daraus ein Programm: "Künstler zu sein heißt arbeiten." Fünf Tage und Nächte arbeiteten und lebten Künstler aus Prishtina abgeschirmt im Ausstellungsraum. Figurative Malerei, expressiv und schrill, sowie markante Zeichnungen von Jakub Ferri verschmelzen nun auf den schwarzen Wänden. Eine Black Box nicht nur für Videokunst, vor allem international wenig bekannte Maler aus dem Kosovo gedenke man im "Rhizome Space" auszustellen. Für Mehmet Behluli ist die neu gegründete lokale Plattform ein Erfolg. Zumal die einzige Galerie Exit in Peja nach Ablauf des Projektes Relations 2006 schließen musste. Doch spiegelt der fensterlose "Rhizome Space" auch die Isolation der Kunstszene in Prishtina wider.

 

Nach wie vor sind Reisen ins Ausland für die seit 1999 unter dem Protektorat der Vereinten Nationen stehenden Kosovoalbaner nur mit Visa möglich. Dass Serbien die Pässe der UN-Behörde "Unmik" nicht anerkennt, erschwert das Reisen zusätzlich. Trotz der weiterhin angespannten Lage zwischen dem nach Unabhängigkeit strebenden Kosovo und Serbien regte ein von Frankfurter Kulturschaffenden, Felicia Herrschaft und Philipp von Leonhardi, geleiteter Workshop in Prishtina zum Austausch an. Wie man sicher in den Kosovo einreist, beschäftigte vorab die elf serbischen Workshopteilnehmer. Die Gruppe aus größtenteils jungen Künstlern zwischen 20 und 30 Jahren entschied sich für die beschwerlichere Anfahrt mit dem Bus. Doch als die ersten Künstlerinnen und Kuratoren aus Belgrad und Novi Sad in Prishtina ankommen, stehen sie irritiert am Busbahnhof. Ihre Handys funktionieren nicht, die Kommunikation wurde buchstäblich unterbrochen.

 

Entsprechend reserviert und nervös war die Atmosphäre zu Workshopbeginn in der "Kosovo Art Gallery". Auch erwies sich das Thema "Reenacting" (wiederholen, neu inszenieren) als schwierige Ausgangsbasis. Zwar beschäftigt sowohl die jungen Künstler im Kosovo wie in Serbien dezidiert der kulturelle Riss durch den Balkan als Folge der Kriege. Während aber Reenacting die Rekonstruktion historischer Ereignisse meint, ging die vorgestellte Kunst über diese reine Dokumentation hinaus. Schien Alban Mujas Video "Agreement" eine alltägliche Verabredung zwischen Freunden im Café wiederzugeben, machte der englische Untertitel das Scheitern des auf Albanisch und Kroatisch geführten Gesprächs zwischen zwei Künstlern bewusst. Die Protagonisten redeten aneinander vorbei, eine ironische Anspielung des Künstlers auf das sowohl politische als auch verbale Verständigungsproblem zwischen den Menschen im ehemaligen Jugoslawien.

 

Die serbische Künstlerin Milica Ruzicic ging mit ihrem öffentlichen Raum-Projekt provokant einen Schritt weiter als ihr Kollege. In Belgrad hatte Ruzicic etliche Passanten mit einer Polaroidkamera fotografiert. Anschließend konnten alle Mitwirkenden die Porträts auf einer Litfaßsäule mit Sprachstempeln versehen. Ein Tor, wer glaubt, die Akteure schreckten öffentlich zurück, sich gegenseitig mit rassistischen Sprüchen abzustempeln. Wie sensibilisiert ist die Bevölkerung auf dem Balkan gegenüber ihrer jüngsten Geschichte?

 

Bereits am ersten Abend hatte die spanische Kuratorin und Frankfurter Kunstvereins-Leiterin Chus Martínez die Workshopteilnehmer aus der Reserve gelockt, indem sie eine Parallele zur spanischen Kunstszene und deren Vakuum unter der Franco-Diktatur zog. Statt auf die Zeit nach der Unabhängigkeit im Kosovo zu warten, schlug sie den Künstlern vor, gemeinsam nach neuen Inhalten zu suchen und auch die eigene Verwendung von Sprache neu zu überdenken.

 

Oft erweisen sich aber schon einfachste Zutaten, wie sie der Frankfurter Städelschüler Tomislav Vukic in einer abschließenden Performance-Installation aus Licht, Eis und verschiedenen Getränken mixte, als die besten Katalysatoren für einen kommunikativen Austausch. Insgesamt war es spannend mitzuerleben, dass sich in Prishtina gerade sehr lebendig unterschiedliche Ausstellungsstrukturen und Räume herausbilden. Den Organisatoren des Workshops, Herrschaft und Leonhardi, gelang es, die jungen Akteure in Prishtina erstmals zusammenzuführen. Eine Ausstellung im Kunstraum Leonhardi Kulturprojekte in Karben mit Arbeiten der Workshopteilnehmer ist schon geplant und eine Fortführung des Workshops im Oktober 2007 in Belgrad.

 

HORTENSE PISANO

 

 

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19.07.2007, Nr. 165, S. 44